der MANN ISST fleisch, die FRAU IST fleisch"

3.2 Tier-Konstrukt, Frauen-Bild und Sexismus
(Auszug aus der Readerin
von Birgit Mütherich: Die soziale Konstruktion des Anderen – zur soziologischen Frage nach dem Tier, für die Komplettansicht hier klicken)

Die Reduktion auf Naturhaftigkeit, Körper und Instinkt sowie die Unterstellung eines Mangels an Vernunft und Individualität, die im Falle der Tiere deren Versachlichung ermöglicht und die totale Herrschaft über ihre Körper und Psychen sichert, gehörte über zweitausend Jahre lang auch zum Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmuster gegenüber Frauen. Analog zur essentialistischen Unterscheidung zwischen „Mensch“ und „Tier“ wird auch die Differenz zwischen „Mann“ und „Frau“ nicht als eine deskriptive gefasst, sondern erhält ihre asymmetrische Gestalt durch die (Über-)Betonung biologischer Unterschiede und die Wertung, Verallgemeinerung und Festschreibung solcher Merkmale des (weiblichen) Anderen, die Naturnähe und ein niede(re)res Entwicklungsniveau suggerieren (43). So brachte Ludwig Feuerbach den „Wesensunterschied“ zwischen Frauen und Männern im 19. Jahrhundert auf die prägnante Formel: „Sein ist das Weib, Denken der Mann“ (44).

Auch den Frauen wurde (und wird zum Teil noch immer) eine abhängige, rangniedere und weitgehend rechtlose soziale Stellung in der patriarchalen Gesellschaftsordnung zugewiesen. Auch hier wird das „Wesen“, werden die vermeintliche „Natur“ und „Bestimmung“ der Frau durch die festgelegt, die davon profitieren und ihre eigene überlegene Position im Institutionengefüge abzusichern bestrebt sind. Ebenso wie die Definitionsmacht des Menschen das nichtmenschliche Lebewesen und die Definitionsmacht des Weißen den farbigen Menschen als „das Andere“ konstituiert, wird „die Frau ... in der Geschichte des europäischen Denkens als das andere des Mannes gedacht, in dem er lediglich sein alter Ego sieht, das Gegenbild seines eigenen Wesens.“ (45)

Daher umfasst der Vorstellungskomplex des Weiblichen alles, was „man(n)“ mit dem eigenen Selbstbild für unvereinbar hält, d. h. Defizite wie geistige und physische Schwäche, Passivität, Hilflosigkeit, Weichheit, Oberflächlichkeit und Naturnähe. Betrachtungsweisen, die die Geschlechterdifferenz auf der Folie des Dualismus von (aktivem) Geist und (passiver) Natur entfalteten, machten auch vor reformorientierten Denkern nicht halt, wie das Beispiel Wilhelm von Humboldts illustriert. „Alles Männliche“, resümiert er, „zeigt mehr Selbsttätigkeit, alles Weibliche mehr leidende Empfänglichkeit,“ und da der Geist den Frauen nicht gänzlich abgesprochen werden kann, findet sich auch im Spektrum geistiger Aktivitäten ein „Stück Natur“: „In der Gestalt des Mannes offenbart sich durchaus eine strengere, in der Gestalt des Weibes eine liberalere Herrschaft des Geistes; dort spricht der Wille lauter, hier die Natur.“ (46)

„Natur“ aber verweist in der europäischen Zivilisationsgeschichte grundsätzlich auf Ambivalenz und - noch beunruhigender - auf ein permanentes Risiko und die Furcht vor dem (Wieder-)Erstarken des Beherrschten und Unterdrückten - seien es eigene Affekte, „wilde Tiere“, Naturvölker oder unterdrückte Bevölkerungsgruppen. Nach dieser Vorstellung birgt folglich auch das weibliche Andere „gefährliche“ Eigenschaften, die eine unbedingte soziale Kontrolle rechtfertigen: Vor dem Hintergrund der tiefenkulturellen Prägung - hier antike Logozentrizität und Hierarchieorientierung, dort Körperfeindlichkeit und Geistbezogenheit des christlichen Denkens – liegt es nahe, moralisch aufladbare und politisierbare Differenzmerkmale zum Männlichen (Gott-Nahen) in weiteren Bedeutungsfeldern des „Naturhaften“ zu suchen. So werden dem „Weib“ - wie den Mitgliedern von Naturvölkern - regelmäßig die Charakteristika der Leichtfertigkeit und Zügellosigkeit bis hin zur ungehemmten Sexualität und einer insgesamt defizitären Moralität und Sündhaftigkeit unterstellt. Von der Frühneuzeit bis ins 18. Jahrhundert wird die Frau neben dem „als widerwärtig verfemte(n) Tier, das an Promiskuität gemahnt“ und daher nach Horkheimer und Adorno die „Zerstörungslust der Zivilisierten auf sich zieht“ (47), zur idealen Projektionsfolie des Obszönen, Magischen und Bösen. Welche Wirkungsmacht diese Negativsymbolik des Weiblichen besaß, wird unter anderem darin deutlich, dass allein in der Zeit der Hexenverfolgungen die unter der Folter der Inquisition „gestandene“ „Buhlschaft“ mit dem Teufel Zehntausende von Frauen das Leben kostete.

Die Elemente des bürgerlichen Frauenbildes: Schwäche, Passivität, Disposition zur Irrationalität und die tiefenkulturell wirksamen, älteren Elemente des Bedrohlichen und Subversiven fasst noch 1907 der Arzt und Psychiater Paul Julius Möbius zusammen: „Der Instinkt nun macht das Weib tierähnlich, unselbständig, sicher und heiter (...) Mit dieser Tierähnlichkeit hängen sehr viele weibliche Eigenschaften zusammen. Zunächst der Mangel eignen Urteils (...) Wie die Tiere seit undenklichen Zeiten immer dasselbe tun, so würde auch das menschliche Geschlecht, wenn es nur Weiber gäbe, in seinem Urzustand geblieben sein. Aller Fortschritt geht vom Manne aus.“ - Und: „Wäre das Weib nicht körperlich und geistig schwach, wäre es nicht in der Regel durch die Umstände unschädlich gemacht, so wäre es höchst gefährlich.“ (48)

Eine solche Beurteilung spiegelt nicht nur spezies- und geschlechterbezogene Vorurteile vor dem Hintergrund der industriegesellschaftlichen Fortschrittseuphorie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wider, sondern greift auch das bereits angesprochene Ausgrenzungsargument der Entwicklungsunfähigkeit, Rückständigkeit oder Geschichtslosigkeit als Ausdruck biologischer Determiniertheit und Naturverhaftetheit auf (49). Die ideologische Utilität dieses Vorwurfs wird klar, wenn man sieht, dass er sowohl „das Tier“ und „die Frau“ als auch - wie oben skizziert - „die Wilden“ und „die Schwarzen“ sowie die Juden traf/trifft. So betont Hoffmann in seiner Antisemitismus-Untersuchung unter dem Aspekt des dualistischen Wertungsmusters „Rückständigkeit/Geschichtslosigkeit vs. Fortschritt/Geschichte“, dass „in der Aufklärungszeit ... ‚Fortschritt’ und ‚Geschichte’ zu (letzten) Instanzen (wurden), in deren Namen Werturteile gefällt wurden. Gegenüber der neuen Erfahrung von menschlich-selbstbestimmter Geschichte, von Veränderung und Bewegung konnte gerade das (orthodoxe) Judentum, welches den Geschichtsablauf seit der Antike scheinbar unverändert ‚überlebt’ hatte, als Inbegriff für das Beharren auf dem Vergangenen, für Unbeweglichkeit, Starrsinn und Geschichtslosigkeit gelten.“ (50)

Der Vorwurf der Rückständigkeit oder Geschichtslosigkeit, der zum Standardrepertoire ausgrenzungsbezogener Argumentationsfiguren gehört und alle genannten Gruppen diskriminiert(e) und gefährdet(e), entstammt einem Denken, das Geschichte besonders an Hand der organisatorischen und technisch-materiellen Verkehrsformen von Gesellschaften rekonstruiert und den Geschichtsbegriffs an das produktiv-tätige und auf Umweltaneignung ausgerichtete menschliche (männliche) Subjekt bindet.

Einhergehend mit dem alten aber auch heute noch verbreiteten Modell einer nach Rangstufen geordneten und nunmehr abgeschlossenen „natürlichen“ Evolution, erhält dieses Denkmuster eine biologische Vorverurteilung, die neben den Tieren insbesondere Frauen trifft. Ihre Position wird - gestützt durch Aussagen über das so genannte weibliche „Wesen“ - an die biologischen und sozialen Formen gesellschaftlicher Reproduktion gekoppelt, worauf sich wiederum ihre vermeintliche Geschichtslosigkeit, Entwicklungsunfähigkeit sowie ihr „naturgemäß“ inferiorer Status gründen: Im Gegensatz zu der als männlich-aktiv interpretierten und die Geschichte vorantreibenden Arbeit in der Sphäre der Produktion wird der traditionelle Anteil der Frau an der gesellschaftlichen Arbeit als passive, unveränderliche und quasi natürlich-überzeitliche „Verrichtung“ betrachtet, die es zu erhalten gilt:

„Das Weib“, stellte der Mediziner Max Runge Ende des 19. Jahrhunderts fest, „ist gebunden an ewige Gesetze. Das beste Weibsmaterial hat keinen Drang zur Halbmannhaftigkeit, sondern will Gattin und Mutter sein...“, und für den Physiker Max Planck gab es keinen Zweifel daran, „dass die Natur selbst der Frau ihren Beruf als Mutter und Hausfrau vorgeschrieben hat, und dass Naturgesetze unter keinen Umständen ohne schwere Schädigungen, welche sie ... besonders an dem nachwachsenden Geschlecht zeigen würden, ignoriert werden können.“ (51)

Eine ideale Vorlage für das Konzept der „ewigen Gesetze“, die sich dem historischen Wandel entziehen, bildete auch hier „das Tier“, das in der gewöhnlichen Vorstellung zum Teil bis heute und entgegen allen empirischen Befunden zur Variabilität und Entwicklungsoffenheit tierlicher Spezies und Sozietäten sowie den Lernpotentialen und Handlungsspielräumen von Tierindividuen dem Bild einer instinktgeleiteten, entwicklungsunfähigen „Biomaschine“ entspricht. Neben Descartes’ „Automatenthese“ und dem metaphysisch-anthropologischen Gedankengut der Idealisten trug auch Marx zu diesem Zerrbild bei, indem er zur Betonung des Anspruchs einer freien und bewussten Praxis des „Gattungswesens Mensch“ das Gegenbild eines ebenfalls an natürliche Bedingungen gebundenen, dem Prozess der Naturgeschichte jedoch bewusstlos ausgelieferten Lebewesens entwarf, welches seine Umwelt nicht wie der Mensch durch Aneignung entscheidend verändern könne. Zwar stellte er im Rahmen seiner Mensch-Tier-Differenzbestimmungen fest, dass „das Tier“ durchaus - z. B. Nester und Wohnungen - produziere, jedoch nur das, „was es unmittelbar für sich oder sein Junges bedarf“, so dass es sich hier im Gegensatz zur menschlichen Arbeit nur um eine minderwertige Produktionsform „unter der Herrschaft des unmittelbaren physischen Bedürfnisses“ handele (52). Indem Marx die Fähigkeiten und den Rang nichtmenschlicher Spezies an Hand des Niveaus ihrer ökonomischen Organisation beurteilte, wurden diese auf Grund der Andersartigkeit oder „Primitivität“ der Organisation ihrer Existenzweisen im Vergleich zur menschlichen zwangsläufig massiv abgewertet.

Die der alten Vorstellung entsprechende Gottes- und Geistnähe des Mannes verwandelt sich im Zuge der Säkularisierung in die Idee einer prinzipiell unbegrenzten Freiheit des (männlichen) Menschen im Rahmen von Technikentwicklung und Naturbeherrschung. Aus der Perspektive der sich selbst zum Maßstab setzenden und auf Fortschritt orientierten Männergesellschaft bleiben „das Tier“ und die Frau – bei allen Unterschieden - „naturgebunden“. Wie Horkheimer und Adorno in ihrer Analyse der europäischen Zivilisationsgeschichte ironisch feststellen, wird folglich gerade die Frau durch ihre eigene untergeordnete Rolle als unproduktives Gesellschaftsmitglied zur Hüterin der Tiere: Da „die Sorge ums vernunftlose Tier... dem Vernünftigen müßig (ist)“, habe „die westliche Zivilisation ... sie den Frauen überlassen. Diese haben keinen selbständigen Anteil an der Tüchtigkeit, aus welcher diese Zivilisation hervorging... Die Frau ist nicht Subjekt. Sie produziert nicht, sondern pflegt die Produzierenden...“ (53). Der Frau als Inbegriff der „von Natur aus“ reproduktiven, bewahrenden und passiven sozialen Funktionen, wird die niedere Aufgabe des Schutzes von Tieren zugeteilt, während - so die Autoren kritisch - „die Idee des Menschen in der Männergesellschaft“ stets darauf abgestimmt war, „grenzenlos Natur zu beherrschen, den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln.“ (54)

Im „unendlichen Jagdgebiet“ des Mannes treten Frauen und Tiere auch ganz konkret als Beute und Opfer auf. Obgleich an dieser Stelle nur sehr kurz auf dieses vielschichtige Thema eingegangen werden kann, ist es wichtig zu erwähnen, dass sich die Verbindung zwischen Frauen und (gejagten) Tieren oder zerlegten Tierkörpern vom Bedeutungsfeld der Jagd (und anderer Blutrituale wie dem Stierkampf) über das Fleischessen und die Pornografie bis hinein in Gewaltdarstellungen und Gewalthandlungen erstreckt (55). So kommt der Sozialanthropologe Fiddes zu dem Schluss, dass es „ausgeprägte Parallelen (gibt) zwischen dem Fleischsystem und der Terminologie, die Männer benutzen, wenn sie in pornographischen Zusammenhängen oder am Stammtisch über Frauen reden. Es scheint, als sei das eine Ausbeutungssystem dem anderen nachgebildet...“ (56). Dabei stelle „die Beschreibung von Frauen in Begriffen aus der Jagd- und Viehzuchtsprache“ nur einen wichtigen Aspekt des metaphorischen Gebrauchs des Wortes Fleisch dar: „sie kann geritten, gezähmt oder mit einem Stallknecht verheiratet werden... Der Mann geht zum ‚Viehmarkt’, um dort einen ‚Fang’ zu machen, oder ‚auf die Jagd’. Für manche Männer sind Frauen ‚Freiwild’.“ (57)

In der an tier- und frauenfeindlichen Assoziationen reichen Jägersprache finden sich darüber hinaus Begriffe wie das „Luder“, mit dem ein „weibliches ‚Stück’“, d. h. ein getötetes weibliches Tier bezeichnet wird, oder die „Schnalle“, die sich auf das Geschlechtsteil des (zur „Ausmerze“ anstehenden) weiblichen „Raubwildes“ bezieht. Dass derartige Spezialbezeichnungen für weibliche Tiere und ihre Körperteile auch in die sexistische Alltagssprache einfließen, zeigt sich darin, dass beide Bezeichnungen in gleichzeitig animierender und herabsetzender Weise zur Charakterisierung von Frauen eingesetzt werden. Auch die im Zusammenhang mit Frauen überhäufige Verwendung von tierbezogenen Diminutiven, von Kosenamen wie „Häschen“, „Kätzchen“ erfüllt - ähnlich wie pejorative und sexualisierende Bezeichnungen („Mieze“) - die Funktion einer metaphorischen Instrumentalisierung und der Demonstration von Überlegenheit.

Ein anderer Aspekt der doppelt degradierenden Frau-Tier-Assoziation ist die Bezeichnung von Frauen als essbare Objekte, mit dem laut Mills ein Bild von der Frau heraufbeschworen wird, „in dem sie als totes Fleisch erscheint, das blutig zerlegt, zerschnitten, von einem Schlachter oder Koch kleingehackt und eventuell einem Mann zum Verzehr vorgesetzt wird. Ein bit of meat, ein ‘Stück Fleisch’, bedeutete früher Geschlechtsverkehr (vom männlichen Standpunkt aus) und später eine Prostituierte. Als frisches Fleisch wurde eine Prostituierte bezeichnet, die neu im Geschäft war... Rohes Fleisch war ein Ausdruck für jede Frau... Fleischmarkt oder Fleischbeschau war ein Wort für ein Rendezvous mit einer Prostituierten...“ (58).

Während Männer verbal im aktiv-aneignenden Sinne, nämlich als Jäger, Töter und Verzehrer mit Fleisch in Verbindung gebracht werden, werden Frauen – passivleidend - mit Fleisch als einem zum konsumierbaren Objekt gewordenen getöteten Tier identifiziert. In derselben Weise entspricht auch die Redewendung „Der Mann isst Fleisch, die Frau ist Fleisch“ dem Gegensatz aktiv-passiv und den dualistischen Zuordnungen Geist - Mann - Subjekt vs. Materie - Frau - Objekt. Nach Fiddes’ Überlegungen ist das „Bild, das sich Männer von Frauen als Fleisch machen,... ein Spezialfall des weitreichenden Zerrbildes von der Frau als Tier... Fleisch ist ein hervorragendes Symbol für die Kontrolle des Mannes über die natürliche Welt. Die Tatsache, dass die Frau als Fleisch bezeichnet wird, kann als eine Aussage über ihre angeblich wildere gesellschaftliche Rolle und ihre Verfügbarkeit als eine natürliche Ressource der Männer verstanden werden.“ (59)

Der Umstand, dass zwischen Tier-Konstrukt und Frauenbild nicht nur einzelne Schnittstellen und strukturelle Analogien, sondern inhaltliche Übergänge und Wechselwirkungen bestehen, führte Forscherinnen aus dem angloamerikanischen Raum bereits vor vielen Jahren dazu, traditionelle Gender Studies und ökofeministische Ansätze um die Frage nach dem „Tier“ als kulturelles Symbol zu erweitern und das System der Tierausbeutung auf seine gesellschaftspolitischen Implikationen zu untersuchen.

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